Ihr erster Orgasmus mit 60+….ganz ohne Scham!

von | Apr 4, 2019 | Lust im Alter | 2 Kommentare

 

 

„Ich bin Witwe und ich schäme mich zu sagen, dass ich noch nie einen Orgasmus hatte.Den möchte ich noch so gerne erleben bevor ich sterbe“.

 

Genau das flüsterte meine 67 jährige Klientin bei unserem Kennenlern-Gespräch ins Telefon.

 

Es war ihr hörbar unangenehm darüber zu sprechen und doch lag ihr dieses Anliegen so am Herzen, dass sie es endlich angehen wollte.

 

In letzter Zeit höre ich dieses Anliegen gar nicht selten in meinen Beratungsgesprächen. Von Frauen, die als Witwe oder Geschiedene, oft nach einer langjährigen Ehe, genau noch diesen sexuellen Wunsch nach einem erlebten Orgasmus in sich verspüren.

 

Denn ein langer gemeinsamer Weg ist kein Garant für eine glückliche und erfüllte Sexualität.

 

Orgasmus-Gespräche zwischen Kaffee und Käsekuchen

 

Warum fällt es (Single-)Frauen, die 60 Jahre oder älter sind, so schwer nach einer langen sexuellen Biographie über ihre „Orgasmus-Schwierigkeiten“ zu sprechen?

 

Ich glaube fast jede Frau kann sich da hineinversetzen, so groß ist immer noch die Scham offen über Sexualität zu sprechen.

 

Wir haben nicht gelernt, uns über dieses Thema auszutauschen, wir haben kaum Räume, um eben dies ganz selbstverständlich zu tun. Uns mitteilen zu können, ohne Bewertung, ohne das Gefühl mit uns sei irgendetwas nicht in Ordnung. Auch gegenüber unserem Partner fällt das oft schwer.

 

Trotz Aufklärung, freizügiger Kleidung und inzwischen schon zur Selbstverständlichkeit gewordenen Werbung mit oft großbusigen, jungen Frauen an so gut wie jeder Strassenecke, bleibt das gelebte Sexualleben gerade bei den reiferen Jahrgängen fast völlig im Dunkeln.

 

„Wann hattest du deinen letzten Orgasmus und wie war der?“

 

Haben Sie diese Frage ihren Freundinnen schon mal beim Kaffeekränzchen gestellt?
Dann blieb  Ihren Freundinnen vor Schreck vermutlich der Käsekuchen im Halse stecken.

 

Da reden wir über Krankheiten, die Alkoholsucht von Onkel Willi, unsere Pläne für den nächste Reise. Doch Sexualität kommt nicht vor. Warum trauen wir uns nicht?

 

Nun, einige Frauen trauen sich jetzt und suchen zunächst oft verunsichert, doch dann sehr konkret, Unterstützung für ihren Wunsch. Und wenn sie spüren, dass sie mit ihrem Anliegen vorurteilsfrei angenommen werden, erzählen sie sehr offen.
Da kommt viel Traurigkeit, manchmal auch Wut, zum Vorschein. So viele Jahre, in denen sie eine unbefriedigende Sexualität gelebt haben und in der sie unfähig waren, das zu kommunizieren.

Weder ging das mit ihrem Partner, noch hatten sie eine andere Vertrauensperson, mit der sie darüber hätten sprechen können. 

 

Die Kriegsenkel und ihre Scham

 

Ganz allgemein ist Sexualität, vor allem auch in unserem Kulturkreis, in den letzten Jahrhunderten oder länger mit einem Schweigebanner versehen worden.
Die Gründe dafür sind vielfältig. Und obwohl wir wissen, bewusst oder unbewusst, dass wir ohne die Sexualität gar nicht existieren würden, haben wir Scheu über dieses Thema zu sprechen.

 

Die Klientinnen, die zu mir kommen, sind überwiegend 60 + und gehören damit noch zur Nachkriegsgeneration. Da lohnt auch ein Blick zurück.

 

Sie wurden von Eltern erzogen, die gerade selbst versuchten die Schrecken des Krieges hinter sich zu lassen. Die beschäftigt waren ihr Leben wieder aufzubauen. Die eben einfach manches vergessen wollten.
Die oft nur funktionierten um erst einmal selber wieder Tritt zu fassen. Da wurde wenig oder gar nicht über Befindlichkeiten geredet oder gar das Thema Sex angesprochen. Das war in der Regel deutlich mit einem Tabu belegt.

 

Und es kam dann zur Gegenbewegung, in den wilden 68ern Jahren, die daran ging, nicht nur dieses Tabu aktiv zu brechen.
Je nachdem in welchem Umfeld jemand groß geworden ist, prägte sich auch die Einstellung zur Sexualität.

 

Ich selbst bin in dieser Zeit aufgewachsen.

 

Da wurden wir entweder ermahnt, gewarnt, wenn aufgeklärt, dann eher mit dem Hinblick auf die Gefahren in der sexuellen Begegnung.
Oder es wurde selber heftig experimentiert. Manch eine(r) war da in jungen Jahren heillos überfordert.

 

Doch so oder so, in der Entdeckung einer erfüllenden Sexualität wurden wir allein gelassen.

 

Mit all den Unsicherheiten, die wir in frühen Jahren einfach noch haben.
Mit dem eigenen Körper, dem anderen Geschlecht, oder überhaupt mit der eigenen Ausrichtung. Unsere Eltern waren da nur sehr bedingt ansprechbar, die waren vor allem mit ihren Themen beschäftigt. Konnten uns da kaum Vorbilder sein.

 

Erinnern Sie sich noch an Dr. Sommer? Erste Versuche der Aufklärung von jungen Menschen in der Jugendzeitschrift „Bravo“. Ich war sicher nicht die einzige, der man den Kauf dieser Zeitschrift verbot.
Da wurde die weitere Suche nach Orientierung von oft unpassenden, aber verfügbaren „Vorbildern“, geschönten Körpern in den Journalen, Porno-Darstellungen und eben auch moralischen Vorgaben geprägt.

 

Wie jemand zu sein hat. Ich denke noch an die Filme der damaligen Zeit, in denen ein Kuss schon das Höchste einer intimeren Begegnung war.
Oder an die Werbung. Frauen zwischen Kuchen backen, Pudding kochen, immer mit gestärkter, adretter Schürze oder putzend. Da eilte dann Meister Proper der Hausfrau wie von Zauberhand, zu Hilfe, der Superman der Sauberkeit.
Oder erinnern Sie sich noch an Klementine, die etwas burschikoser, uns das Wäschewaschen näher brachte? Das Frauenbild und der Zeitgeist von damals.

 

Und heute? Sicher hat sich da vieles verändert, doch es dreht sich weiter häufig um Themen wie „Was ziehe ich an“ oder „Wie und was koche ich“. Neuer ist, „welchen Yogakurs besuche ich“ und die Umwelt bekommt neben beruflichen Themen inzwischen auch mehr Augenmerk.

 

Nur ein Thema bleibt weitestgehend unberührt: „Wie lebe ich eine erfüllende Sexualität?“ Da herrscht nach wie vor das große Schweigen.

 

Wenn Erwartungen wie etwas zu sein hat, oder Wunschbilder, mit dem Bild über uns selbst nicht übereinstimmen, dann schämen wir uns. Weil wir etwas unangenehmes fühlen.
Dass wir nicht gut genug sind, falsch sind. Dass wir so nicht sein sollten, dass wir das nicht tun sollten. Individuell und auch kollektiv.

 

Erwartungen resultieren aus Vorstellungen und die wiederum werden großenteils durch unser Umfeld geprägt. Wo leben wir, was umgibt uns, welchen Umgang pflegen wir und welcher Geist herrscht da?

 

Sehr oft blicken wir nur auf die Fassade der anderen Menschen und kommen so zu der Ansicht, die bekommen alles hin, natürlich auch den Sex.

 

Die Not vieler bleibt uns verborgen. Uns bleibt das Gefühl der Scham, denn nur wir bekommen es eben nicht hin.

 

Raus aus der Sackgasse

 

Wenn bisher Scham, vielleicht auch aus Unkenntnis oder Resignation, das verhindert hat, so haben wir es doch heute selber in der Hand dies zu ändern.
Und dann, wenn auch langsam, entsteht ein neues Bewusstsein, entstehen neue Räume. Ist Austausch heute besser möglich.

 

Und wir können feststellen, dass wir da nicht alleine sind. Dass es anderen Frauen ähnlich ergeht. Und wir auf niemanden zu warten brauchen, wir uns selbst aufmachen können. Im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Da heißt es ehrliche Bestandsaufnahme zu machen. Was war da, was habe ich vielleicht jahrelang mitgemacht, obwohl es mir nicht gefallen hat?

 

Dafür gab es häufig nicht einmal Worte, wenn es zu schnell ging, weh tat, zu wenig zärtlich war. Da war frau einfach nur sprachlos.

 

Wer hat da nicht schon einmal einen Orgasmus vorgetäuscht, damit sich der Mann besser fühlt. Damit frau es hinter sich gebracht hat, pflichtschuldigst. Und sich dabei mehr und mehr nur schlecht gefühlt hat. Elend.
Zwischen der Angst ihn zu verlieren oder ihn zu verärgern und der Wut auf sich selbst, nicht den Mut gehabt zu haben darüber zu sprechen.

 

Was hat das mit dem eigenen Selbstwert gemacht? Wo war frau da, innerlich?

 

Es geht nicht darum Schuldige zu finden. Es geht darum Mechanismen zu entlarven. Das kann ungemein erleichtern. Eigene Bedürfnisse überhaupt mal zu benennen, ebenfalls.

 

Sehnsüchte, nie geklärt und adressiert, haben es erschwert oder oft auch unmöglich gemacht, eine tiefe Intimität mit dem Partner zu leben.
Die Sehnsucht danach sich wirklich fallen lassen zu können, eigene Bedürfnisse zu erkennen und dann anzumelden, sich zuzumuten, mit allen Facetten.
Und auf dieses Verschwiegene kann auch der Mann nicht reagieren, weil er eben nicht hellsehen kann. Er blieb in vielen Fällen ahnungslos.

 

Eine Sexualität, die nicht berührt, führt zu Rückzug oder Verweigerung. Zumindest innerlich.

 

Es gibt die letzten Jahre mehr und mehr, vor allem reifere Frauen, die diesem Teufelskreislauf von „Erwartung und Verweigern“ leb wohl sagen oder dies wollen. Die ihr Glück nicht zwingend an einem Partner festmachen (wollen).

 

Die DAS Geheimnis entdecken. Verantwortung zu übernehmen. Für sich und ihr Wohl, auch in sexueller Hinsicht.

 

Die ganz konkret fragen, sich mit ihren Wünschen und Bedürfnissen auseinandersetzen.
Die verstehen, dass sie mehr Handlungsmöglichkeiten haben als je gedacht. Auch erkennen, dass es keineswegs zu spät ist, und das vieles vielleicht ganz anders ist als bisher vermutet. Wenn sie es zulassen. Sich von zementierten Vorstellungen lösen.

 

Dieser Weg lässt sich leichter in Begleitung anderer Frauen beschreiten. Nicht weil der Mann unerwünscht ist. Sondern weil wir Frauen uns an dieser Stelle auch kollektiv helfen und unterstützen können.

 

Das stärkt auch die gleichberechtigte, gereifte Begegnung mit einem Partner.
Denn erst wenn wir wirklich in uns ankommen, können wir auch den passenden Partner anziehen. So das gewünscht ist.

 

Rendevouz mit sich selbst

 

Doch zunächst dürfen wir uns selbst und unsere Bedürfnisse erst einmal richtig kennenlernen. Die meisten Frauen hatten in ihrer langjährigen Beziehung oder Ehe keinen guten Kontakt zu ihrem Körper, können ihre wahren Bedürfnisse zunächst oft nicht einmal benennen, haben Sexualität aus unterschiedlichen Gründen nicht offen er-/gelebt.

 

Viele hatten schon Schwierigkeiten sich ihrem Partner offen, das heißt nackt, zu zeigen.

 

Sex fand fast immer im Dunkeln statt und so blieb eben auch im übertragenen Sinne vieles im Dunkeln.

 

Kein sich mitteilen. Kein wirkliches Erkunden und Erforschen erogener Zonen, weder für sich, noch gemeinsam.
Kein Wissen um die Erregungsabläufe bei Mann und Frau. Dass eine Frau in aller Regel erheblich länger braucht um zu einer Vereinigung bereit zu sein.

 

Ein Vorspiel schätzt, Berührungen, Präsenz, zärtliche Worte. Nicht allen war das bewusst.
Da passierte der Sex meist zu schnell, zu mechanisch, gleichförmig und langweilig.

 

Damit Frauen zunächst ihre eigenen Bedürfnisse kennenlernen und somit auch kommunizieren lernen, empfehle ich sehr gerne ein Rendezvous mit sich selber.

 

Das heißt, ich lege es ihnen nachdrücklich ans Herz.

 

Und hier ist nun wirklich der Phantasie keine Grenze gesetzt. Es darf gerne etwas „Verrücktes“ sein, etwas, dass alle bisher bekannten Muster bricht.

 

Doch was heißt überhaupt ein Rendezvous mit sich selbst?

 

Die meisten von uns verbinden mit diesem Wort ein Stell-Dich-ein, ein romantisches Treffen von Liebenden oder Verliebten.

 

Was könnte besser passen um sich selbst liebevoll zu begegnen, um sich vielleicht auf eine ganz neue Weise kennenzulernen.

 

Was verbinden Sie persönlich mit einem gelungenen Date?

 

Vielleicht für den Anfang eine handgeschriebene Einladung? Suchen Sie sich doch eine wunderschöne Karte und schreiben Sie genau das, was Sie sich zu so einer Gelegenheit wünschen. Ruhig mit Datum und Uhrzeit. Seien sie verbindlich, es ist für die wichtigste Person, eben für Sie selbst.

 

Oder besuchen Sie einen Blumenladen und wählen dort Ihre Lieblingsblume aus. Sorgen Sie doch ab jetzt jede Woche für Nachschub und erfreuen Sie sich täglich an dieser kleinen Aufmerksamkeit.

 

Auf was haben Sie bisher nicht so viel Augenmerk gelegt? Vielleicht war Ihre Unterwäsche bisher eher praktisch? Wie wäre es mit einem Besuch in einem Dessous-Laden mit fachkundiger und sympathischer Beratung und Sie schauen sich einmal etwas ganz anderes an? Nur für sich selbst.

 

Wie haben Sie ihren Körper bisher gepflegt? Eher nach dem Motto: Hauptsache schnell, es gibt wichtigeres? Dann schenken Sie ihrem Körper ab heute mal besondere Aufmerksamkeit und Wohlwollen. Gerade auch dann, wenn Sie am liebsten wegsehen würden. Weil er sich verändert, sich die ein oder andere Stelle so langsam in Falten legt.

 

Eben dann braucht Ihr Körper Ihren liebevollen Blick. Söhnen Sie sich aus.
Nehmen Sie ein besonders wohlduftendes Öl und verteilen Sie das sehr, sehr langsam über Ihren ganzen Körper. Lassen Sie wirklich keine Stelle aus, keine, und spüren dabei sehr genau hin. Mögen Sie sich streicheln? Überall?

 

Ich habe das übrigens einmal hier in einer Frauengruppe demonstriert, nur an meinem Arm. Genussvoll, mit ebensolchen Seufzern. Die Frauen lachten so richtig befreit auf und erzählen mir noch heute davon.

 

Diese Tipps sind ein Anfang und so ein Rendezvous mit sich selber können Sie immer weiter ausbauen.
Mit allem was Ihnen gut tut. Sie werden staunen, was Ihnen mit der Zeit noch alles einfällt.
Mit etwas Übung gelingt es Ihnen mehr und mehr den Menschen, den Sie im Spiegel sehen, wirklich kennenzulernen und von Herzen zu mögen.

 

Selbst-Liebe ganz wunderbar gelebt.
Ich wünsche Ihnen ganz viel Freude bei der Begegnung mit sich selbst!