Oh Wunder, wie der Krebs mein Leben verwandelt hat

von | Apr 3, 2019 | Krankheit annehmen | 0 Kommentare

„Heidi, wie haben Sie den Krebs besiegt ?“, fragen mich meine Klienten, wenn das ihr Thema ist, im Coaching.

Nun, das Wort „besiegen“ gefällt mir in diesem Zusammenhang nicht. Ich behaupte eher, dass eine schwerwiegende Erkrankung ein guter Lehrmeister für ein erfülltes Leben sein kann. Eine Chance für Veränderung in diese Richtung sein kann.

Als gelernte Krankenschwester mit medizinischem Fachwissen und großer Erfahrung, besonders auch mit Schwerkranken, weiß ich, dass es auf diese Frage keine richtige oder falsche Antwort gibt. Es gibt immer nur einen persönlichen Weg, der sich wie ein beschwerlicher Wanderweg mit zahlreichen Kreuzungen und Abzweigungen anfühlen kann. 
Jedes Mal muss man sich neu für oder gegen etwas entscheiden. Ja, und ganz unter uns, manche erreichen das Gipfelkreuz dann auch nicht mehr …

Doch der Reihe nach, es ist nun knapp 5 Jahre her. Ich war nach vielen Stationen in der Welt längst auf Mallorca angekommen. Hatte hier ein bekanntes Geschäft für Inneneinrichtung, kombiniert mit Café, wunderbare Kunden und ebensolche Freunde.

Es ging mir richtig gut. Ich hatte seit einigen Jahren begonnen, mich auf meinen nächsten Lebensabschnitt vorzubereiten. Mein Wunsch war es, Menschen in Umbruchsituationen zu begleiten, eigene Erfahrungen hatte ich überreichlich gesammelt.
Weiteres Rüstzeug eignete ich mir in Seminaren und Ausbildungen an.
Sehr bewusst räumte ich auch meine Themen aus der Vergangenheit auf.

Meine Welt schien in Ordnung. Wenn da nicht dieses merkwürdige Gefühl gewesen wäre. Ein Ziehen und gelegentliches Stechen in der linken Brust.

Vom Verdacht zur Diagnose

Ignorieren ging eine ganze Weile, doch irgendwann nicht mehr.
Als ehemalige Krankenschwester kenne ich die Alarmzeichen. Also habe ich mich den Untersuchungen gestellt.

Die waren gründlich. Und zogen sich über einen ganzen Monat hin.
Zeit für mich, mich mit den Möglichkeiten auseinander zu setzen.

Mein Inneres schwankte zwischen Hoffen und Bangen. Wenn ich nur stark genug glauben würde, dann wäre alles gut. Doch da war auch die innere Stimme, die sagte: „Mach Dir nichts vor, Du weißt es doch.“

Diese Achterbahn der Gefühle, zahlreiche schlaflose Nächte inklusive, gipfelte in die anberaumte Biopsie. Und die anschließende Woche bis zum Ergebnis.

„Sie habe einen aggressiven Krebs im fortgeschrittenem Stadium direkt unter der linken Brustwarze“, dumpf habe ich damals die Diagnose meines Arztes vernommen.

Schock…und nur noch Angst

„Morgen bin ich tot“, blitzschnell schoss mir dieser Gedanke in den Kopf.
Ich war total geschockt, da war kein Platz für irgendetwas anderes.
Gefühlt gefror mir das Blut in den Adern. Angst. Pure Angst. Ich war wie gelähmt.
Wie oft hatte ich früher solche Diagnosen als Krankenschwester weitergeben müssen und begleitet. Und nun war ich selber betroffen?

Ich habe das Ergebnis wie durch einen Filter wahrgenommen, auch die Therapievorschläge. Dann bin ich wie betäubt nach Hause gefahren.
Im Rückblick kann ich nicht mehr genau sagen, wie lange dieser Zustand der Starre anhielt.
In der Regel bin ich eine praktisch denkende Frau. Doch hier gab es keine Regel.

Was nun…und wie kann ich mit der Diagnose Krebs umgehen?

Das für mich erstaunliche geschah dann fast zeitgleich. Ich habe keinen Moment gehadert mit dem Ergebnis, mich auch nie gefragt, warum denn ausgerechnet ich?

Die Betroffenheits-Praktik war nie so meine Sache, nicht bei anderen, auch nicht für mich selbst. Selbstannahme und Humor helfen enorm weiter, auch wenn letzterer wie hier, gelegentlich etwas schwärzer ausfiel.

Ich habe den Krebs voll und ganz angenommen. Und mir war sehr schnell klar, ich möchte absolut offen damit umgehen.

Wenn meine Krankheit einen Sinn haben sollte, dann den, mich eben nicht damit zu verstecken.

Das hatte ich zu oft bei anderen erlebt und führte in meinen Augen in die Isolation, denn die Menschen im Umfeld wussten dann nicht, wie sie auf die Betroffenen zugehen sollten.
Ich wollte das auf keinen Fall und die selbst auferlegte Offenheit hat mir dann im weiteren sehr geholfen. Wenn sie gelegentlich auch etwas anstrengend wurde. Mir war es das jedoch immer wert.

Zunächst war ich fest entschlossen, dem vorgelegten Behandlungsplan zu folgen: Operation, Chemo maximal, Bestrahlungen maximal und den Hormonblocker, der Schwere meiner Diagnose entsprechend.

Doch in der darauf folgenden Zeit regte sich, zunächst diffus, mehr und mehr der Widerstand in mir. Die Ärzte und der offizielle Behandlungsplan vermitteln ja eine gewisse Kompetenz und Sicherheit. Alles unterlegt von Richtlinien, Broschüren und Statistiken.
Doch all das machte mich letztendlich auch stutzig: „Was, wenn doch alles ganz anders ist?“
Ich begann mich umfassend, sowohl schulmedizinisch wie auch alternativ,
zu informieren.
Was für mich zunächst ohne Alternative war, war die OP.
Die habe ich hier auf Mallorca durchführen lassen und sie verlief völlig komplikationslos.

Der nächste Schritt im Therapieplan war die vorgesehene Chemotherapie.
In meinem Fall war die Höchstdosis dafür angesetzt.
„Ist es das? Ist das gut für mich? Ist das mein Weg?“ meine innere Stimme wurde immer lauter.

Der Termin nahte. Um die Venen vor der aggressiven Chemo zu schützen wird ein Dauerzugang gelegt. Eine kleine Operation.

Noch am Morgen suchte ich mit einer Freundin eine sehr schöne Perücke aus, reserviert für den Tag, an dem die Haare beginnen würden auszufallen. Glatze schneiden inklusive.

Nachmittags war dann der Termin in der Klinik zum zunächst alleinigen Legen des Zugangs anberaumt. Die Chemo sollte Tage später beginnen.

Ich saß schon im Flügelhemd bereit, als der Operateur ins Zimmer kam um mich zu begrüßen. Dann fiel sein Blick auf meine Werte. Blutdruck okay, Temperatur leicht erhöht.
Er sagte das Legen des Zugangs deswegen ab. Für ihn war das vorläufig.

Doch für mich war es die letzte Gewissheit. Keine Chemo. Nicht für mich.

Vom Vertrauen

Und für mich war es auch das letzte Zeichen. Schon Tage vorher hatte ich mich erinnert: Als Kind hatte ich mehrfach schwere, zum Teil aussichtslose, Diagnosen gehabt. Was mir damals vor allem geholfen hat, war eine Art innere Gewissheit. Das es gutgeht. Und fast immer das heimliche Wegwerfen der Medikamente. Das gab dann durchaus Ärger wenn ich erwischt wurde. Kindern wird so ein Handeln ja nicht zugestanden.

Doch dieses Erinnern hat meine weitere Vorgehensweise geprägt. Zum Entsetzen meiner Ärzte.
Ich habe die begonnenen Bestrahlungen nach der Hälfte abgebrochen, genau dann, als es für mich vollkommen stimmig war.

Und habe das für mich wichtigste getan. Mein Immunsystem unterstützt und gestärkt.

Als nach vier Monaten im Ultraschall der Verdacht auf ein Rezidiv ( Wiederauftreten des Krebses) bestand, bin ich dennoch nach Berlin in eine anthroposophische Klinik geflogen. Dort zeigte sich der gleiche Verdacht und statt einer Biopsie habe ich mich gleich operieren lassen. Das Ergebnis: Narbengewebe, kein Krebs.

Ich war mehr als erleichtert, natürlich. Nur eine Momentaufnahme erneut. Gewiss, doch wichtig für mein innere Stabilität.

Ich finde mich selbst

Heute bin ich 62 Jahre. Es geht mir ausgezeichnet, ich empfinde mich als geheilt.

Vieles habe ich seither verändert, teils radikal. Im Innen und im Aussen.

Ich habe mein schönes Geschäft nach mehr als 20 Jahren geschlossen, meine Ausbildungen für meine neue berufliche Ausrichtung als Beraterin und Coach abgeschlossen und ein neues anspruchsvolles Projekt steht kurz vor dem Beginn.

Ich bin eine Andere geworden, habe gespürt noch mehr Tiefe erlangt, die ich selbstredend in meine Berufung als Coach und Vertraute auf Zeit einbringe.

Wunder sind möglich

„20% Überlebenschance“, hatte mir mein damaliger Onkologe prognostiziert.
Ich nehme das Wort Wunder nur sehr ungern in den Mund. Wenn Wunder das bezeichnet, was in einer Situation eher unwahrscheinlich erscheint.
Entgegen aller Prognosen. Doch was genau bestimmt deren Verlauf?

Selbstverantwortung heißt hier mein Zauberwort. Ich bin selbst verantwortlich für mich und mein Leben. Auch dafür, was sich für mich richtig anfühlt, umzusetzen. Das dann aber auch mit allen Konsequenzen.
Das ist nicht immer leicht, für mich war es der richtige Weg. Auch ich weiß nicht was morgen sein wird. Doch ich kann mich immer wieder neu entscheiden.

Mein Arzt und Operateur, der erst gelinde gesagt, gar nicht glücklich mit meiner Vorgehensweise war, freut sich heute sichtlich bei jeder Begegnung, mich so wohlauf zu sehen.

Den Onkologen, der mir die geringe Überlebenschance gab, habe ich nie wieder aufgesucht.

Der Krebs hat mein Leben verwandelt und bereichert.
Mein Umgang mit dieser lebensbedrohlichen Erkrankung erinnert mich an die alte, japanische Technik namens Kintsugi.
Damit ist die Kunst gemeint, Risse und Fehlendes so mit Goldlack zu reparieren, dass aus einer zu Bruch gegangenen Keramikschale, eine einmalige und wertvolle Schale entsteht. Vergoldete Brüche, die Dingen oder Ereignissen eine ganz eigene Schönheit verleiht….

Manche nennen es auch Wunder.